
Zwischen den Zeilen: Wenn Sprache spaltet.
Manche Gespräche beginnen höflich. Scheinbar sachlich. Und doch schwingt etwas mit – eine Schärfe, ein Ton, der aufhorchen lässt. Es sind nicht die Worte allein, sondern das, was zwischen ihnen lebt: Anspruch. Erwartung. Und manchmal auch – Abwertung.
Wem gehört der Raum?
Besonders dort, wo es um Raum geht, um Besitz, um Nähe, tritt dieses Muster zutage. Wohnraum – so banal das Wort klingt – ist weit mehr als Quadratmeter. Er steht für Zugehörigkeit, für Status, für das Recht, da zu sein.
Und wer das Gefühl hat, mehr zu verdienen oder weniger zu bekommen als andere, kann schnell vom Wunsch nach Gerechtigkeit in ein Gefühl von Kränkung kippen.
Neid tarnt sich gern als berechtigtes Interesse. Als Empörung über ein vermeintliches „Mehr“, das anderen nicht zusteht. Aus dieser Haltung kann leicht eine Erzählung werden – in der jemand zu viel hat, zu frei ist, zu selbst bestimmt lebt. Und plötzlich ist da ein Feindbild.
Von der Meinung zur Mauer
In Zeiten gesellschaftlicher Anspannung, wo Wohnraum, Sicherheit und Anerkennung gefühlt knapp werden, suchen manche nicht nach Lösungen – sondern nach Schuldigen. Polarisierung beginnt, wo der Dialog endet. Wo ein innerer Mangel nicht gesehen und geheilt wird, sondern sich in Hetze im Außen verwandelt.
In diesem Klima wird das Wort zur Waffe. Aus Anfragen werden Forderungen, aus Meinungen Anschuldigungen, aus Nachbarschaft stille Front. Sprache verliert ihre Mitte – und bekommt jenen harten Klang, der spaltet.
Die trügerische Sicherheit moralischer Überlegenheit
Wer sich selbst als „wertvoller“ versteht, fühlt sich oft auf der sicheren Seite – tugendhaft, pflichtbewusst, im Recht. Doch die Geschichte zeigt: Es war selten der laute Hass allein, der spaltete. Viel häufiger war es das selbstgerechte Anspruchsdenken, das das Klima vergiftete.
Würde als Währung
Wenn Aufwertung auf Kosten anderer geschieht, wird Würde zur Währung – und das scheinbar Normale still gefährlich. Dabei ist Wut an sich nichts Verwerfliches. Sie zeigt Grenzen. Doch wenn Wut sich mit Neid und Kränkung paart, kann sie toxisch werden – und vergiftet am Ende nicht nur andere, sondern auch den, der sie nährt.
Ein Blick zurück
Ein Beispiel aus der Geschichte: 1914 verfasste der deutsche Dramatiker und Lyriker Ernst Lissauer – ein Intellektueller mit großem Bedürfnis nach Zugehörigkeit – das berühmte Gedicht „Hassgesang gegen England“. Was als Ausdruck patriotischer Zugehörigkeit gedacht war, wurde später als Symbol für Spaltung und Hetze verstanden. Vielleicht war es auch ein Versuch, sich selbst zu verorten – in einer Zeit tiefer Unsicherheit. Und doch zeigt es, wie Worte verletzen können, wenn sie aus einem inneren Mangel entstehen.
Spaltung heute – subtiler, aber nicht harmloser.
Diese Mechanismen sind nicht vergangen. Sie sind nur leiser geworden. Subtiler. Und oft gesellschaftlich akzeptiert. Wer öffentlich spaltet, hat heute meist gute Argumente – oder glaubt sie zu haben. Doch es bleibt ein Echo zurück. Ein Raum, der enger wird. Und Menschen, Nachbarn, Kollegen, die sich zurückziehen.
Haltung statt Lautstärke
In Zeiten wie diesen ist es wichtiger denn je, Haltung zu bewahren. Nicht die Lautesten haben recht. Nicht die Anspruchsvollsten die größten Rechte. Sondern die, die ihre Worte mit Würde wählen, auch wenn sie provoziert werden.
Die leise Gegenbewegung
Vielleicht ist genau das die leise Gegenbewegung zu all dem Lauten:
Sich nicht einfangen zu lassen in fremde Dramen.
Nicht mitzukämpfen, nur weil andere ihre inneren Kämpfe nach außen verlegen.
Sondern still bei sich zu bleiben – klar, würdevoll, unerschütterlich.
Denn:
Wer sich erkennt, kann wachsen.
Wer sich nicht erkennt, bleibt im eigenen Muster –
aber Sie dürfen sich klar positionieren, ohne Ihre
Werte zu verlassen.
Mut zur eigenen Mitte
Und manchmal ist genau das die stillste, aber kraftvollste Antwort:
Sich selbst treu zu bleiben – auch wenn andere sich verlieren.
Es braucht Mut, nicht mit dem Strom zu schwimmen.
Doch genau in diesem Mut liegt eine Kraft, die Wunden heilt und Räume öffnet – für sich selbst und andere.
Ein stilles Versprechen: Würde für alle
„Alle Menschen sind gleich an Würde“ – so beginnt unser Grundgesetz. Kein bloßer Satz, sondern ein stilles Versprechen: geboren aus einer Zeit, in der dieser Gedanke verloren ging. Gerade deshalb erinnert er uns – leise, aber deutlich – daran, wie wichtig es ist, die eigene Menschlichkeit nie über die der anderen oder das eigene Anspruchsdenken zu stellen. Jeder Mensch hat Anspruch auf Achtung und Respekt.
Zwischen Reiz und Reaktion liegt Freiheit
Viktor E. Frankl – Überlebender der Konzentrationslager und Begründer der Logotherapie – schrieb einst: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“
Zurück zu sich – statt in den Machtkampf
Diesen Raum – innerlich wie äußerlich – wieder zu schützen, ist Teil meiner Arbeit. In meiner Praxis begleite ich Menschen, die verletzt wurden durch Sprache, durch Ausgrenzung, durch subtile Abwertung. Menschen, die ihre eigene Stimme wiederfinden möchten, ohne selbst laut werden zu müssen.
„Das letzte der menschlichen Freiheiten ist die Wahl der Einstellung zu den Dingen.“ - Victor Frankl
Wenn Sie sich wiedererkennen … Wenn Sie das Gefühl haben, Ihre innere Grenze wurde überschritten, Ihre Würde angezweifelt oder Ihre Stimme überhört – gehen Sie nicht in den Kampf. Kehren Sie zurück zu sich. Denn wer sich selbst erkennt, hat es nicht nötig, andere zu entwerten.